Was wäre anders, wenn die Erde selbst Rechte hätte, die sie gegen jene geltend machen könnte, die ihre Oberfläche verschmutzen, ihre Atmosphäre vergiften, ihre Wälder abholzen und ihre Ozeane leerfischen?

Bisher versuchen Umweltgruppen und Bürgerinitiativen diese offenkundigen Missstände gerichtlich geltend zu machen, aber sie versuchen es im Namen von Menschen oder Menschengruppen, deren Lebensräume bedroht, deren Eigentum geschädigt oder deren Gesundheit beeinträchtigt ist. Alles Recht geht so vom Menschen aus und fällt auf ihn zurück.

Wer weiter denkt, wie zuletzt die erfolgreiche Klage vor dem Deutschen Bundesverfassungsgericht, bezieht auch künftige Generationen mit ein.

Die sollen auch schon Rechte haben, was insofern logisch ist, als sie ja einmal Träger von Rechten sein werden – dennoch eine Art von Fiktion insofern, als es diese künftigen Generationen derzeit ja noch gar nicht gibt; dann aber doch wieder nicht so außergewöhnlich, weil seit dem altrömischen Nasciturus es schon immer Sinn gemacht hat, auch einem noch Ungeborenen gewisse Rechte einzuräumen: Selbst ein Kind, das noch nicht geboren, aber immerhin schon gezeugt ist, kann Erbe sein, wenn es nach dem Erbfall lebend geboren und damit rechtsfähig wird. Die Fiktion ist hierdenkbar einfach: Das Kind wird rechtlich so behandelt, als wäre es schon geboren.

Heute scheitern diese Initiativen oft an drei klassischen Problemen, und zwar selbst dann noch,  wenn sie, was in letzter Zeit häufiger geschieht, mit einem aus Sicht der Kläger erfolgreichen Spruch des Gerichts enden („scheitern“ ist hier in dem auch von den Klägern intendierten Sinn gemeint, dass aus der Initiative nicht unmittelbar, oder nicht in absehbarer Zeit, eine Abstellung des unerwünschten Verhaltens resultiert, vielmehr derzeit weiterhin unklar ist, ob es während der Lebenszeit derzeit schon Geborener noch eine habitable Erde geben wird, oder vielmehr sogenannte Kipppunkte schon demnächst für deren Ende sorgen werden).

Die drei klassischen Probleme sind das Kausalitätsproblem, das Jurisdiktionsproblem sowie die Antragslegitimation:

Wenngleich nicht zweifelhaft sein kann, dass die jeweils Beklagten einen kausalen Beitrag zur Verschmutzung leisten, so tun sie dies doch meist nicht alleine, sondern die Verschmutzung, beispielsweise der übermäßige CO2-Eintrag in die Atmosphäre, resultiert aus dem Handeln von Dutzenden (im Falle der sogenannten Carbon Majors) oder hunderten Millionen (im Falle der Nutzung von Verbrennungskraftmaschinen) einzelnen Schädigern, für die jeweils gilt, dass ihr einzelner Eintrag zu keiner maßgeblichen Bedrohung der Stabilität des weltweiten Ökosystems führen würde. Also stellt sich regelmäßig die Frage des Beitrags der einzelnen Tätigkeit zum Gesamtkollaps: Man kann ja auch nicht leicht die Provokation eines einzelnen Hooligans für sämtliche Folgen einer Massenschlägerei verantwortlich machen. Erst das Zusammenwirken aller Beteiligten führt zu dem desaströsen Phänomen.

Zudem finden diese schädlichen Einträge in sämtlichen Legislationen der Welt – mit Ausnahme vielleicht von Bhutan – statt, die sich aber nicht nur voneinander unterscheiden, sondern meistens rechtliche Abhilfe auch nur für jene Vorkommnisse vorsehen und vorsehen können, die sich in ihrem eigenen Wirkungsbereich abspielen.

Wenngleich es de lege lata noch möglich ist, dass ein bedrohter Bauer aus Peru einen Verschmutzer im 16.000 km entfernten Deutschland gerichtlich belangt, so sieht die Rechtsordnung doch meist keine oder nur unzureichende Handhabe dafür vor, die weltweiten Auswirkungen beispielsweise von Atmosphären- oder Ozeaneinträgen einzelner Akteure, darunter auch Staaten, insgesamt einzudämmen. Wenn beispielsweise die chinesische Fischerei beschließt, die Weltmeere leer zu fischen, so kann man höchstens an traditionell zahnlose Instrumente des Völkerrechts denken, wird aber mit den traditionellen Mitteln des Privat- und Schadenersatzrechts wenig ausrichten.

Und drittens schließlich stehen wir immer wieder vor dem Problem der Antragslegitimation: Nur weil einem persönlich ein bestimmtes Verhalten eines weltweiten Verschmutzers, Ressourcen-Ausbeuters oder Abholzers nicht gefällt, bedeutet das noch lange nicht, in persönlichen subjektiven Rechten verletzt zu sein, die man auch vor einem Gericht oder sonstigen Forum geltend machen könnte. Dies selbst dann nicht, wenn naturwissenschaftliche Nachweise nahelegen, dass die inkriminierte Aktivität sich langfristig auch auf die eigenen persönlichen Lebensumstände irgendwie auswirken werden; dafür hat unser Rechtssystem noch keine Institutionen geschaffen, und es war bislang auch sinnvoll, subjektive Rechte keineswegs uferlos jedem zur Verfügung zu stellen, dessen Befindlichkeit, Geschmack oder politische Vorliebe gerade gestört ist.

Umweltgruppen wie Green Peace, Global 2000 oder Fridays for Future mögen selbst Rechtspersönlichkeit haben oder lediglich einen losen Zusammenhalt von gleichgesinnten Besorgten darstellen. Sie stehen aber stets vor dem Problem der Geltendmachung eigener subjektiver Rechte, denn – kurz gesagt – wer kein Recht hat, kann auch kein Recht geltend machen.

Wenn nun aber die Erde als Planet selbst jene Rechte hätte, die von diesen Gruppen und Einzelpersonen regelmäßig zu deren eigenen Gunsten – oder denen ihrer Nachfahren – geltend gemacht werden, stellten sich all diese Probleme nicht: Für die Kausalität ist es ja unerheblich, ob etwa andere Nachbarn ebenfalls schädliche Einträge auf mein Grundstück liefern, denn ich kann jedem einzelnen Emittenten seinen jeweiligen Beitrag untersagen und – als Eigentümer – Ersatz von ihm fordern. Da der Planet sozusagen definitionsgemäß ubiquitär ist, spielt auch die jeweilige Legislation keine bedeutende Rolle mehr, könnte er doch in jeder einzelnen der 196 Legislationen (vorausgesetzt, sie würden alle die Rechtspersönlichkeit des Planeten anerkennen) sowohl Klags- als auch nachfolgende Exekutionsanträge stellen. Vor allem aber entfiele das Problem der Antragslegitimation: Es liegt auf der Hand, dass der Planet unmittelbar geschädigt oder beeinträchtigt ist. Einer Transformation der Auswirkung schädlicher Einträge auf die jeweilige Rechtssphäre von einzelnen oder allen betroffenen Menschen bedürfte es dann nicht mehr.

Natürlich ist ein derartiges Gedankenexperiment, die Erde als Planet möge subjektive Rechte besitzen wie ein Mensch (oder menschliches Gebilde), reine Fiktion. Das freilich unterscheidet das Gedankenexperiment keineswegs vom geltenden Recht, gibt es doch schon lange fiktive Gebilde, denen unzweifelhaft, geradezu ausdrücklich und absichtlich Rechtspersönlichkeit und damit die Möglichkeit der Geltendmachung subjektiver Rechte zukommt, und, wichtiger: ist doch auch das Konzept subjektiver Rechte als solches reine Fiktion. Ähnlich wie in der Mathematik ist es geradezu Gegenstand der Jurisprudenz, von Materiellem zu abstrahieren und fiktive Gebilde zu erschaffen, die in der Natur weder vorkommen noch vorkommen sollen, dies zu dem Zweck der Lösung von andernfalls unlösbaren Problemstellungen. Ebenso wenig, wie man eine Primzahl oder vieldimensionale Räume in der Natur vorfindet, gibt es Vereine oder Staaten „in Wirklichkeit“; auch keine Gesetze - sondern nur deren schriftlichen oder heute: elektronischen Niederschlag in den entsprechenden Gesetzeswerken (ganz ähnlich der Unterscheidung von Ziffer und Zahl in der Mathematik), ja noch nicht einmal Menschenrechte und Grundfreiheiten: Deren „Existenz“ speist sich ausschließlich aus der Tatsache ihrer historischen Manifestation oder Proklamation, abgestützt durch entsprechende Institutionen.

Dahinter steht, wie auch bei dem dritten Epiphänomen menschlicher Organisation, dem Geld, ein ubiquitärer Glaube an sowohl das Sein wie auch das So-Sein der jeweiligen Entität (Recht, Geld beziehungsweise Zahl).

Aus der Tatsache der schieren Existenz derartiger Epiphänomene menschlicher Organisation, die sich im Tierreich nicht finden lassen, folgt, dass es sich historisch als zweckmäßiger erwiesen hat, unser Zusammenleben mit diesen fiktionalen Entitäten zu organisieren, als ohne sie. Tauschhandel ohne Geld, Leben ohne Zahlen und sogar Gemeinschaften in einem rechtlosen Zustand wären zwar theoretisch denkbar, und sind möglicherweise sogar historisch verbürgt – doch nur auf einem für heutige Verhältnisse nicht mehr vorstellbar niedrigen Organisationsniveau. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob es schlicht zweckmäßiger wäre, dem Planeten Erde subjektive Rechte einzuräumen. Wobei sofort klar wird, dass es hier wie sonst auch um unsere, also menschliche Zwecke geht (nicht etwa um die des Planeten, der höchstwahrscheinlich keinen Zweck hat).

Wenn sich zum Beispiel einmal ein großes Containerschiff im Suez-Kanal für ein paar Tage verkeilt, stehen natürlich schnell allerhand Forderungen im Raum, und es stellen sich wie sonst auch die Fragen nach Kausalität, Jurisdiktion und Anspruchslegitimation, denn der Kanal liegt in Ägypten, die Reederei in Taiwan, der Versicherer hat seinen Sitz in London, und die Frächter liefern von Häfen in aller Welt an Häfen in aller Welt. Weil derartige Vorfälle selten passieren, muss auf seltene, dennoch uralte Rechtsfiguren wie die sogenannte Havarie-grosse zurückgegriffen werden, die es bereits im antiken Rhodos gab, und die vom Comité Maritime International, einer Nicht-Regierungsorganisation, die 1897 in Antwerpen gegründet wurde um ein einheitliches Seerecht zu schaffen, weiterentwickelt wurde. Aus all dem wird deutlich, dass es eigentlich nicht um Schiffe, Kanäle und Frachtgut geht, sondern darum, das Faktum des internationalen Seehandels zweckmäßig zu regeln: Das kann mit herkömmlichen, innerstaatlichen Normen nur unzureichend gewährleistet werden. Also erfindet man – i.e.: einigt man sich im Vorhinein auf – neue Formen.

In seinem viel zu wenig beachteten Aufsatz aus 1972, „Should Trees have Standing? -Toward legal rights for natural objects“ entwirft Christopher D. Stone, Professor of Law an der University of Southern California, ein Konzept für die Rechtspersönlichkeit natürlicher Objekte wie Flüsse, Wälder und dergleichen. Gleich sein erstes Kapitel ist mit „The Unthinkable“ überschrieben, weil insbesondere unter nicht-juristischem Publikum die unbegründete Fehlvorstellung vorzuherrschen scheint, nur Menschen oder menschliche Gemeinschaften könnten überhaupt eine Rechtspersönlichkeit haben.

Das ist aber nicht erst seit der Erfindung der juristischen Person (zB Vereine, Kapitalgesellschaften sowie im gewissen Sinne auch staatliche Gebilde) falsch, denn – auch Stone bemüht den maritimen Bereich – sogar Schiffe hatten in der britischen Legislation frühzeitig Rechte.

Vor allem ist auch das Gegenteil nicht richtig, worauf Stone einleitend hinweist: Keineswegs haben nämlich heute und hatten in früheren Zeiten alle Menschen Rechte, also wäre die Gleichsetzung Mensch = Rechtsträger illusorisch. Vielmehr hängt und hing das Rechtehaben stets davon ab, ob man frei, erwachsen, Mann, Staatsbürger, Steuerzahler, geschäftsfähig usw. war und nicht die falsche Hautfarbe hatte.

„The fact is, that each time there is a movement to confer rights onto some new entity, the proposal is bound to sound odd or frightening or laughable.[1] This is partly because until the rightless receives its rights, we cannot see it as anything but a thing for the use of us – those who are holding rights at the time.“ [2]

Die Gründungsväter der USA sprachen zwar von unveräußerlichen Rechten aller Menschen, die sie in ihre Verfassung schrieben, während sie aber eine Gesellschaftsordnung aufrechterhielten, die praktische keine Rechte für Farbige, Indigene, Kinder und Frauen vorsah.[3]

Freilich hat sich das Verständnis davon, was Rechte sind, woher sie kommen, und wozu sie dienen sollen, seit 1972 – wie wohl alles andere auch – insofern globalisiert und vereinheitlicht, als sich der Ansatz von Kelsen und anderen, wonach Rechte nichts anderes sind als das, was Subjekten durch die Rechtssetzung verliehen worden ist, durchgesetzt zu haben scheint gegenüber naturrechtlichen Betrachtungen, die Menschen und anderen Rechtsträgern gewisse „unveräußerliche“, bereits in ihrer Natur grundgelegte Rechte zuschrieben – und dabei meist in einen infiniten Regress gerieten. Es sollte daher inzwischen klar sein, dass subjektive Rechte Menschen keineswegs per se anhaften, sondern im weiteren Sinne bloß Ausfluss einer Übereinkunft darstellen.  Übrigens beschränkt sich Stone keineswegs auf den Vorschlag, Wäldern, Ozeanen, Flüssen und anderen sogenannten natürlichen Gegenständen in der Umwelt Rechte einzuräumen, sondern schlägt ausdrücklich vor, „that we give legal rights to the natural environment as a whole“. [4]

Es gibt also gute Gründe dafür, den Planeten mit einer Rechtspersönlichkeit auszustatten, und es gibt offensichtlich noch sehr viel mehr gute Gründe dagegen: Genau dasjenige nämlich, was damit aus einem bestimmten Blickwinkel erreicht werden soll, könnte und müsste zwangsläufig dazu führen, dass eine Lebensform wie die unsere nicht mehr aufrechterhalten werden kann, weil der Planet dann gegen jede einzelne Autofahrt, Flugreise und sogar jedes harmlose Lagerfeuer Einspruch erheben könnte.

Das führt, noch etwas weiter gedacht, recht schnell zu der zentralen ontologischen Frage, die meines Wissens nicht entschieden ist, ob es nicht geradezu ein Charakteristikum des Homo Sapiens – im Unterschied zu früheren homo-Formen – darstellt, zu aller Zeit schon nicht wie andere Lebewesen im Einklang mit der Natur gelebt zu haben, sondern diese Spezies ganz im Gegensatz dazu als Störfaktor der ihn umgebenden Natur anzusehen ist; ein Kennzeichen, das erst ab dem inzwischen gebräuchlich gewordenen „Anthropozän“ unbestreitbar geworden ist, möglicherweise aber von allem Anfang an vorhanden war und, wie hiermit vorgeschlagen wird, geradezu als Konstituente von Sapiens gelten muss – es ist nur nicht so aufgefallen, solange seine Population noch wenige Millionen Individuen umfasst hat.

Doch lassen wir die Kirche im Dorf: Worauf schon Stone naheliegenderweise hinweist, bedeutet beispielsweise einem Wald oder einem See Rechte einzuräumen keineswegs zu verbieten, dass ein oder jeder Baum gefällt werden könnte; oder, allgemeiner formuliert,

„thus, to say that the environment should have rights is not to say that it should have every right we can imagine, or even the same body of rights as human beings have. Nor is it to say that everything in the environment should have the same rights as every other thing in the environment.”[5]

Sondern es ist und bleibt eben ein fiktiver Vorschlag zu dem ausschließlichen Zweck, die derzeitige Existenzbedrohung, der sich Sapiens – nicht etwa der Planet, der ja aller Voraussicht nach fortbestehen wird – inzwischen gegenübersieht, zu handhaben.

Für die Brauchbarkeit und Überlegenheit eines solchen fiktiven Konzeptes wäre es daher hilfreich, beispielsweise einen Schwellwert einzuziehen, sagen wir in der Weise, dass Abhilfemaßnahmen des Planeten erst ab einer naturwissenschaftlich nachweisbaren – und sei es auch erst drohenden – Erderwärmung von 1,5 Grad verglichen mit dem vorindustriellen Niveau, wie sie im Pariser Abkommen stehen, einsetzen sollen. Die Lagerfeuerromantik würde uns dann erhalten bleiben, keineswegs hingegen der Großteil aller Flugreisen. Das Beispiel mit dem Pariser Abkommen ist auch deswegen gewählt, weil es oft für seine mangelnde Exequierbarkeit gescholten wurde:

Sämtliche Staaten der Welt setzen sich ernsthaft zusammen um ein Abkommen zu zimmern, dessen Verletzung allerdings sanktionslos bleibt, was als lex imperfecta bzw. als Vertragsschwäche bezeichnet werden kann. Das liegt nicht etwa an einer prinzipiellen und auch nicht an einer juristischen Unmöglichkeit (bei den FCKW hat es geklappt), denn in anderen Bereichen, etwa innerhalb der WTO, funktionieren Durchsetzungsmechanismen, wie sie ansonsten jedem Regelwerk eigen sind, über verschiedenste Legislationen hinweg ganz tadellos. Vielmehr scheint der Wille der Vertragsschließenden an faktischen politischen Grenzen gescheitert zu sein, und nach „Paris“ hat es ja deshalb auch Weiterentwicklungen gegeben. Anders gewendet, die Fiktion würde gerade dazu dienen, ein Abkommen, das bereits ohne sie das Licht der juristischen Welt erblickt hat, nun am exekutiven Ende zu perfektionieren.

Dem Einwand, es sei höchst problematisch von einer „Willensbildung“ nicht-menschlicher, natürlicher Objekte wie Flüssen, Ozeanen oder Wäldern zu sprechen, begegnet Stone mit Unverständnis: Kapitalgesellschaften könnten schließlich auch keinen „eigenen“ Willen bilden, ebenso wenig wie Staaten, Vermögensmassen, Unmündige, Geschäftsunfähige, Gebietskörperschaften oder Universitäten, sondern täten dies stets nur durch ihre Organe.[6]

Auffällig an Stones Beispiel, schließlich würde auch für senil gewordene geschäftsunfähige Menschen ein Sachwalter oder Kurator bestellt, ist sein Nebensatz: Dass es nämlich jene seien, denen das Wohlergehen des geschäftsunfähig Gewordenen am Herzen läge, die derlei Maßnahmen bei Gericht einleiten würden; dasselbe gelte im Prinzip für Kapitalgesellschaften, sei es im Fall der Insolvenz oder der Führungslosigkeit, wenn also ein Insolvenzverwalter oder ein Not-Geschäftsführer vom Gericht bestellt wird und werden muss.[7] Es geht also bei der Frage nach der Handlungsfähigkeit von Handlungsunfähigen um das Wohlergehen, das einzelne Nahestehende, letztlich aber die gesamte Gesellschaft mit ihren Gerichten und gesetzlichen Anordnungen für den Fall der Fälle dem Handlungsunfähigen angedeihen lassen wollen:

In derselben Situation befinden wir uns aber inzwischen gegenüber dem Planeten. Es wird sich heutzutage kaum noch eine Mehrheit dafür finden lassen, seine Ressourcen auf Kosten sowohl der anderen Mitbewohner wie auch zukünftiger Generationen schonungslos auszubeuten. Vielmehr wird allseits bester Willen beteuert und die Zahnlosigkeit beziehungsweise das Scheitern verbindlicher Abkommen meist auf politischen Unwillen oder legistische Schwierigkeiten zurückgeführt, also ungeachtet des angeblich guten Willens aller Beteiligten quasi externalisiert. Zumindest müssten sich bei der hier vorgeschlagenen Fiktion jene, die kein Wohlergehen angedeihen lassen wollen, offen deklarieren. Der politische Unwillen bekäme so Namen und Gesicht.

Bis vor ganz kurzer Zeit hatten Tiere im Allgemeinen ebenfalls den rechtlosen Status von Sachen, das heißt bloßen Rechtsobjekten, und waren unfähig, selbst Träger von subjektiven Rechten zu sein. Diese Auffassung hat sich, zumindest was Tierschutz angeht und das Recht gewisser Tiere, keiner unnötigen Quälerei ausgesetzt zu sein, grundlegend geändert, und ist ebenso in Diskussion geraten in Richtung einer Ausweitung wie zuletzt Rechte von Computerprogrammen oder sonstiger Erscheinungsformen künstlicher Intelligenz. Recht ist eben eine dynamische Angelegenheit und entwickelt sich ohnehin tagtäglich weiter, nur halt nicht immer nach den Bedürfnissen der Rechtsunterworfenen. Aber im Idealfall schon. Ein halbes Jahrhundert nach Stones Aufsatz wäre es langsam an der Zeit, uns seine gedankliche Kraft nutzbar zu machen.

 Benedikt Wallner, 20.01.2022

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[1] Das erinnert übrigens an J.B.S. Haldanes berühmt gewordenen üblichen Ablauf des process of acceptance in den vier Stufen:

  1. This is worthless nonsense,
  2. This is an interesting, but perverse, point of view,
  3. This is true, but quite unimportant,
  4. I always said so.

[2] Stone 1972, 455.

[3] Stone 1972, FN 24.

[4] Stone 1972, FN 26.

[5] Stone 1972, 457f.

[6] Stone 1972, 465.

[7] Stone 1972, 464.