LKW-KartellWas ist passiert?

Von 1997 bis 2011 gab es – über immerhin 14 Jahre – nahezu keine fairen Preise auf dem LKW-Markt des Europäischen Wirtschaftsraums. Denn die großen europäischen Anbieter ...

  •     MAN (Deutschland)
  •     DAIMLER (Deutschland)
  •     VOLVO/RENAULT
  •     IVECO (Italien)
  •     DAF (Niederlande)

... hatten sich zu einem Kartell abgesprochen, um mit verbotenen Absprachen den Markt für die Herstellung mittelschwerer (zwischen 6 und 16 Tonnen) und schwerer Lastkraftwagen (über 16 Tonnen) zu regulieren und Preise zu ihren Gunsten hoch zu halten. Nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Artikel 53 des EWR-Abkommens sind aber Kartelle und andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen untersagt.

Nach einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom Juli 2016 wurde festgestellt, dass MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF damit gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen haben. Wegen dieser Verstöße verhängte die Kommission eine Rekordgeldbuße in Höhe von EUR 2 926 499 000. Nur MAN wurde die Geldbuße erlassen, weil das Unternehmen als Kronzeuge die Kommission von dem Kartell in Kenntnis gesetzt hatte (Anm.: dennoch wird auch der straffreie Kronzeuge den Geschädigten gegenüber schadenersatzpflichtig).

Alle Unternehmen räumten ihre Kartellbeteiligung ein und stimmten einem Vergleich zu. In einem Vergleich erkennen Unternehmen an, dass sie an einem Kartell beteiligt waren, und übernehmen die Verantwortung dafür. Dann kann die Kommission ein einfacheres und kürzeres Verfahren anwenden. So kann die Kommission Kartellsachen rascher abschließen, wodurch Ressourcen für die Bearbeitung anderer Fälle frei werden. Im Zuge dieser Kartelluntersuchung wurde auch ein Verfahren gegen SCANIA eingeleitet. Da Scania nicht von diesem Vergleichsbeschluss erfasst wird, wird das Verfahren für dieses Unternehmen als reguläres Kartellverfahren (ohne Vergleich) weitergeführt.

Das 1997 gegründete Kartell erstreckte sich auf den gesamten EWR und hielt 14 Jahre, bis die Kommission 2011 unangekündigte Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der Unternehmen vornahm. Zwischen 1997 und 2004 verliefen die Absprachen unter den Mitgliedern der höchsten Führungsebene, wobei die Zusammenkünfte gelegentlich am Rande von Handelsmessen oder anderen Branchenveranstaltungen stattfanden. Hinzu kamen telefonische Kontakte. Über die gesamten 14 Jahre hinweg kreisten die Absprachen um die gleichen Punkte: Anhebung der Bruttolistenpreise, Zeitplan für die Einführung neuer Emissionssenkungstechnik und Weitergabe der damit verbundenen Kosten an die Kunden.

Schadenersatzklagen

Etwas abweichend vom normalen Schadenersatzrecht können im Kartellrecht alle Personen und Unternehmen, die durch das beschriebene wettbewerbswidrige Verhalten geschädigt wurden, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten – also in Österreich – jeden einzelnen der Kartellanten (auch den Kronzeugen, siehe oben) auf Schadenersatz klagen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der Verordnung 1/2003 des Rates gelten Kommissionsbeschlüsse in Gerichtsverfahren vor einzelstaatlichen Gerichten als rechtskräftiger Nachweis dafür, dass das Verhalten stattgefunden hat und gegen geltendes Recht verstoßen hat; das bedarf keines weiteren Nachweises! Selbst wenn die Kommission gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen verhängt hat (sog. public enforcement), kann noch immer Schadenersatz gewährt werden (sog. private enforcement). Die von der Kommission verhängte Geldbuße wird dabei nicht mindernd angerechnet.

Für verantwortliche Geschäftsleiter von geschädigten Verbänden (vulgo: Firmen) könnte sich – bei Kenntnis der Rückforderungsmöglichkeit – sogar die gesellschaftsrechtliche Pflicht ergeben, mit überschaubaren Mitteln Schadenswiedergutmachung zu betreiben, um ihrem Verband (ihrer Firma) zu dienen.

Wer ist geschädigt?

Zunächst die unmittelbaren Käufer von (betroffenen; das sind allerdings etwa 90%) LKW. Aber wegen der sogenannten passing-on defense, dh dem regelmäßigen Einwand der Beklagten, die unmittelbaren Käufer hätten doch gar keinen Schaden erlitten, sondern sie hätten ihn längst an ihre eigenen Kunden weitergegeben, etwa durch erhöhte Preise oder Frachtraten, gewährt das Kartellrecht ausdrücklich auch dem mittelbar Geschädigten, also dem nächsten in der wirtschaftlichen „Nahrungskette“, einen eigenen Schadenersatzanspruch: Frächter und Spediteure fahren meist im Auftrag ihrer Kunden, die so höhere Preise bezahlen mussten, etwa für Molkereiwaren und sonstige landwirtschaftliche Produkte, etc.: Frächter kaufen LKWs zu überhöhten Preisen, die sie an Spediteure weitergeben (müssen), die für Großhandelsbetriebe fahren, die wiederum Einzelhändler beliefern und so fort in der wirtschaftlichen Nahrungskette bis hin zu den Endkunden. ALLE sind klageberechtigt, wenngleich die geringen „Streuschäden“, die sich auf dem Kassabon jedes einzelnen Verbrauchers niedergeschlagen haben, wohl kaum jemand geltend machen wird. Anders sieht es hingegen auf höherer Stufe der Pyramide aus.

Wie hoch ist der Schaden?

Ebenfalls abweichend vom normalen Schadenersatzrecht steht im Kartellrecht der Schaden, im Zeitpunkt der Klagseinbringung noch keineswegs ziffernmäßig fest, sondern muss meist geschätzt werden: Sachverständige ermitteln über den noch nicht verjährten Deliktszeitraum die betragliche Mehrbelastung, die sich als Auswirkung des Kartells auf den einzelnen Kläger ergeben hat: Jeder Preis, den Sie über diese 14 Jahre gezahlt haben, und an dem ein betroffener LKW beteiligt war, war überhöht! Meist werden Praxiswerte mit 15-20% Preisaufschlag angegeben, weil „für nur 3% Aufschlag macht niemand ein Kartell“. Natürlich verdünnt sich die Mehrbelastung auf jeder Runde des passing-on in dem Maße, in dem die Berechtigten zahlreicher werden. Der Gesamtschaden bleibt indessen immer derselbe.

Wann verjährt das Klagerecht?

Das ist leider nicht ganz klar: Nach § 37h des - seit 2017 neuen - Kartellgesetzes verjähren seine Schadenersatzansprüche in 5 Jahren gerechnet "von dem Zeitpunkt an, in dem der Geschädigte von der Person des Schädigers, vom Schaden, von dem den Schaden verursachenden Verhalten sowie von der Tatsache, dass dieses Verhalten eine Wettbewerbsrechtsverletzung darstellt, Kenntnis erlangt hat oder vernünftigerweise hätte erlangen müssen", und das wird für die meisten wohl die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom Juli 2016 gewesen sein. Aber gilt denn das neue KartG auch für alte Kartelle? Dazu dessen Übergangsvorschriften (in § 86 Abs 9 KartG): "§ 37h ist auf Ansprüche anzuwenden, die am 26. Dezember 2016 noch nicht verjährt sind, sofern nicht die Anwendung des bis dahin geltenden Rechts für den Geschädigten günstiger ist." Übrigens war der Ministerrat säumig, sodass Österreich die Novelle nicht mehr 2016 verabschieden konnte. Wegen der Novellierung 2017 gibt es natürlich noch kaum Erfahrungswerte mit dem neuen Gesetz. Auch ist der lange Deliktszeitraum von 14 Jahren - 1997 bis 2011 - zu beachten, ein gewisser Teil wird wohl jetzt schon verjährt sein. Längeres Zuwarten ist jedenfalls nicht zu empfehlen.

Wer kann klagen?

„Jedermann“. Aber nicht alle werden das tun (sog. Rationale Apathie), weil ab einer gewissen Ebene des passing-on (bzw. der „Nahrungskette“) der Aufwand der einzelnen Klagsführung in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag steht. Auf Ebene der Letztverbraucher spricht man daher nur mehr von kaum mehr wahrnehmbaren „Streuschäden“. Mithin würden aber, falls sich keine mutigen Kläger finden, verbotene Kartellgewinne in Höhe von kolportierten 100 Milliarden Euro, weg von den Marktteilnehmern, hin zu den oben genannten Unternehmen verschoben worden sein und endgültig dort bleiben, was der Europäischen wie auch der innerstaatlichen Rechtslage diametral zuwiderläuft (sog. private enforcement). Obwohl nun die Kommission in ihrer Empfehlung ausdrücklich die Schaffung von Klagsvehikeln vorgesehen hatte, ist dem der Mitgliedsstaat Österreich in der KartG-Novelle nicht gefolgt. Freilich gibt es in Österreich schon längst eine solche Privilegierung einzelner Klagsvehikel. Und mit dem bewährten und vom OGH anerkannten Instrument der „Sammelklage österreichischer Prägung“ soll einmal mehr der gesetzgeberischen Säumnis begegnet werden.

Wer soll das bezahlen?

Ein Prozesskostenfinanzierer. Wir zB kooperieren ständig mit ROLAND Prozessfinanz. Das Geschäftsmodell eines Prozesskostenfinanzierers ist die Finanzierung von Großprozessen gegen Beteiligung am Erlös (diese Beteiligung liegt bei +/- einem Drittel des Ersiegten, je nach Aufwand und Verfahrensstand bzw Finanzierungsvertrag). Dafür ist die Klagsführung für den einzelnen Kläger oder Teilnehmer finanziell völlig risikolos, weil der Prozesskostenfinanzierer wieder sämtliche Kosten übernimmt. Es hängt also von der Masse der gesammelten Ansprüche ab, ob sich das Modell wirtschaftlich rechnet. Alleine der Aufwand für die sachverständige Schadensschätzung ist sehr hoch – und immer gleich, daher am besten unter mehreren Klägern aufzuteilen, die dasselbe wollen.

Und wer sammelt?

Wir. Wenn auch Sie betroffen und an einer Regulierung interessiert sind, kontaktieren Sie uns gerne formlos und unverbindlich.

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