Die Pille gegen die braune Fraktur – die effektive Zusammenarbeit von engagierten AnwältInnen, NGOs und Medien (Auszug)

Zur Illustration der Fall des jungen A. Diallo aus Guinea-Konakry, der einen schweren Arbeitsunfall erlitt: Herr Diallo wurde seit 1996 bei der Firma Johann Schütz GmbH in 3142 Langmannersdorf als Hilfsarbeiter (Sortierer) beschäftigt. Diese Firma befasste sich mit Altpapierverwertung. Zu diesem Zweck wurde auch Papier maschinell in Ballen gepresst. Bei der erstmaligen Montage der Ballenpresse im Jahr 1998 wurde noch vorschriftsmäßig die zur Maschine gehörende Metallabdeckung montiert. Überprüfungen und Reparaturen dieser Ballenpresse seitens des Herstellers oder des Lieferanten erfolgten dann nicht mehr. In weiterer Folge wurde von der Firma die Metallabdeckung entfernt, anstelle dessen wurden Holzbretter montiert, welche die Grube abdeckten, die sich unterhalb der Maschine befand. Die Ballenpresse entsprach zum Zeitpunkt des Unfalls von Herrn Diallo am 21.06.2000 somit nicht mehr den technischen Inhalten der gültigen Arbeitnehmerschutzvorschriften: Die Schutzabdeckung durch Holzbretter entsprach nicht den üblichen Anforderungen, sie konnte abgenommen werden, ohne dass sich die Maschine selbsttätig abstellte. Am Unfalltag war während des Betriebs der Maschine neuerlich der Bindedraht beschädigt bzw. gerissen und musste repariert werden. Herr Diallo erhielt von seinem Chef den Auftrag, die Maschine zu reparieren. Er hatte seine Hand gerade im oberen Bereich, als die Maschine plötzlich in Gang gesetzt wurde und Herr Diallo im Bereich des linken Unterarms eine Quetschungsverletzung erlitt, die so schwer war, dass ihm der Unterarm noch am Unfallstag amputiert werden musste. Es hieß, dass die Maschine von einem Unbekannten aktiviert wurde ...

Sein Akt war in Langmannersdorf schon archiviert. Er selbst hatte keinen Zugang dazu und kannte auch nicht den Inhalt des Akts; nämlich dass ihm selbst an diesem Unfall die Schuld zugeschrieben wurde – in Übereinstimmung zwischen der Firma, der Dorf-Exekutive-Justiz und der Versicherungsanstalt. Aber durch die Zusammenarbeit und den Empowerment-Prozess zwischen dem Ombudsmann der Bunten Zeitung und einem engagierten Anwalt wurde der Fall wieder aufgerollt und konnte der Prozess in Wien trotz aller Widerstände gewonnen werden: Über Diallos Fall berichtete Die Bunte Zeitung im Dezember 2000. Der Fall schien zunächst hoffnungslos verloren.

Der Zeitungsleser Benedikt Wallner, von Beruf Rechtsanwalt, schaltete sich ein und führte in Folge einen jahrelangen Prozess für Herrn Diallo vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien. Der Artikel in der Bunten Zeitung vom Dezember 2000 endet mit dem Wunsch Herrn A. Diallos nach Gerechtigkeit und Aufklärung seines Falles. Die ist ihm inzwischen insofern widerfahren, als das Oberlandesgericht Wien ihm aufgrund eines neuen technischen Gutachtens eine Einmalzahlung (Integritätsabgeltung) zugesprochen hat.

Für Rechtsanwalt B. Wallner sind aus diesem Fall drei Schlüsse zu ziehen:

  •  Das oft gehörte Vorurteil, der Rechtsstaat stehe nur begüterten Personen zur Verfügung, werde aber insbesondere ImmigrantInnen, Vermögensschwachen oder Minderheiten verweigert, bestätigt sich nicht: Richtig angewandt, funktionieren rechtsstaatliche Einrichtungen ohne Ansehen der Person und zeitigen auch die erwarteten Ergebnisse.
  •  Die Handhabung der rechtsstaatlichen Einrichtungen ist, wie die jeder mordernen, komplexen Einrichtung, häufig mühsam und undurchschaubar. Das ist aber weder ein Beleg für Rassismus noch für ein Konzept, wonach der Rechtsstaat unterprivilegierte Klassen benachteilige, sondern lediglich eine Begleiterscheinung fortschreitender Zivilisation. Ohne professionelle Unterstützung von Rechtsanwälten ist das effiziente Ausschöpfen rechtsstaatlicher Möglichkeiten allemal illusorisch. Beispielsweise differiert die Qualität von Sachverständigen aller Gebiete erheblich, und man kann sich nur in sehr engen Grenzen gegen offenkundig falsche Ergebnisse der Gutachten wehren.
  •  Jedes Recht ist nur so gut wie sein Bekanntheitsgrad bei den Betroffenen: womöglich gibt es tausende Maschinen und Anlagen in Österreich, die nicht mehr den Arbeitnehmerschutzvorschriften entsprechen, weil erst die Demontage von Sicherheitseinrichtungen, automatischen Ausschaltern und dergleichen einen „reibungslosen Arbeitsablauf“ ermöglichen.

Es ist anzunehmen, dass nicht alle schwerwiegenden Arbeitsunfälle, die durch solche Anlagen entstehen, zur Leistung eines Geldbetrages durch die AUVA führen, sei es weil sich die AUVA wie hier über mehrere Jahre hinweg energisch gegen ihre Einstandspflicht wehrt und die Verantwortung für den Unfall dem Verunfallten selbst zuschieben möchte, oder schlicht deswegen, weil der Verunfallte die Bestimmung des § 213a ASVG nicht kennt und daher gar keinen Antrag stellt.

Quelle: Die bunte Zeitung / Nov.-Dez. 2005 (01.11.2005)/ Seite 2-3 / von Di-Tutu Bukasa