Die Anklage von Verantwortlichen rund um Ex-VW-Chef Martin Winterkorn weckt Hoffnungen bei Geschädigten in Österreich. Eine neue Plattform sammelt Privatbeteiligte für das Strafverfahren

Die Anklage von fünf Volkswagen-Managern rund um Ex-Chef Martin Winterkorn durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig bringt Hoffnung für im Instanzenzug verfahrene Dieselkläger in Österreich. Denn im Fall einer Verurteilung – die Anklage lautet auf schweren Betrug, unlauteren Wettbewerb, es gilt die Unschuldsvermutung – verlängert sich die Verjährungsfrist für Schäden aus der Abgasmanipulation von drei auf 30 Jahre.

Voraussetzung ist, dass das Gericht in Braunschweig die Anklage zulässt, wovon Rechtsexperten allerdings ausgehen. Auch eine von Anwälten und Konsumentenschützern immer wieder befürchtete Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft scheint seit der Anklageerhebung in Deutschland unwahrscheinlicher – wurde die speziell auf Prüfstandstests abgestellte Manipulationssoftware doch ab 2006 auch in Wien programmiert.

Neue Perspektiven

Für die rund 380.000 betroffenen Dieselbesitzer in Österreich eröffnen sich dadurch neue Perspektiven. Zwei Wiener Anwälte nehmen neuen Anlauf für ein neues Sammelverfahren, diesfalls nicht für zivilrechtliche Sammelklagen, sondern für den Privatbeteiligtenanschluss im staatsanwaltlichen Verfahren nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz. Denn ein Unternehmen ist für Straftaten eines Entscheidungsträgers verantwortlich, wenn die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen wurde.

"Mit der Winterkorn-Anklage werden die Karten neu gemischt", ist Rechtsanwalt Benedikt Wallner überzeugt. Gemeinsam mit dem ebenfalls auf VW-Klagen spezialisierten Anwalt Eric Breiteneder "machen wir die Tore wieder auf für den Privatbeteiligtenanschluss". Geschädigte VW-, Audi-, Seat- und Skoda-Besitzer der Abgasklasse Euro-5 können sich unter www.dieselgate.at registrieren und ihre Dokumente und Fahrzeugpapiere hochladen. Die Kosten für diesen Anschluss sind mit 79 Euro überschaubar, die Ansprüche vom Eventualbegehren bis zu Rückkauf des Fahrzeugs samt Zinsen sind damit gewahrt.

Die Initiative ist nicht zu verwechseln mit der Sammelklage des Vereins für Konsumenteninformation und steht auch nicht in Verbindung mit den vom Verbraucherschutzverein Cobin Claims geführten Sammelklageverfahren; beide operieren mit Prozessfinanzierern, was beim Privatbeteiligtenanschluss nicht der Fall ist.

Keine Angst vor Verjährung

Die von VW ins Treffen geführte Verjährung fürchtet Breiteneder nicht, denn die Aufforderung zum Software-Update sei vielfach erst im Lauf des Jahres 2016 eingetroffen. An Publikum sollte es den Anwälten nicht fehlen. Von 380.000 Dieselbesitzern haben dem Vernehmen nach nicht einmal zehn Prozent ihre Ansprüche geltend gemacht. Im Privatbeteiligtenanschluss sind VW-Besitzer übrigens in bester Gesellschaft: Neben der Republik Österreich, die sich dem VW-Verfahren namens der Finanzprokuratur für insgesamt rund 2600 Fahrzeuge des Verteidigungsministeriums, des Innenministeriums (Polizei) und des Finanzministeriums (Finanzpolizei, Finanzverwaltung), angeschlossen hat, finden sich Großunternehmen wie Flughafen Wien und Wiener Linien.

Sie müssen mit jahrelangen Verfahren rechnen – wie tausende Zivilkläger auch, die den Instanzenzug beschreiten müssen, weil VW die Zuständigkeit österreichischer Gerichte und den – im US-Vergleich zugegebenen- Schaden bestreitet. Das Oberlandesgericht Linz wies Klagen wegen Irreführung übrigens mit einer ungewöhnlichen Rechtsansicht ab: Eine maßgerechte, durchschnittliche Partei hätte den Kaufvertrag "redlicherweise" trotzdem, allenfalls zu anderen Bedingungen, geschlossen, da es durch die Software zu keinerlei Einschränkungen im Gebrauch des Fahrzeuges komme. Eine Software, die den Stickoxid-Ausstoß beeinflusse, stelle nämlich "keine vertragswesentliche Eigenschaft" dar.

Quelle: Luise Ungerböck, derstandard.at, 20.4.2019