Wien. Österreichische Hilfsorganisationen schlagen Alarm. Sie werden bei der Beschaffung von Reinigungsmitteln und Gummihandschuhen mit Wucherpreisen konfrontiert. Um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter und der betreuten Personen zu gewährleisten, müssen sie allerdings gute Miene zum bösen Spiel machen. Doch der Ärger ist enorm. Der „Presse“ liegt eine Bestellliste einer niederösterreichischen Hilfsorganisation vor. Demnach verkauft etwa eine Wiener Großapotheke Handdesinfektionsmittel derzeit um 19,63 Euro pro Liter. Vor der Krise kostete dasselbe Produkt 4,64 Euro. „Ich verstehe, dass Unternehmen Gewinne erzielen wollen und sich auch die vorausschauende Lagerhaltung bezahlen lassen“, sagt ein leitender Mitarbeiter einer Hilfsorganisation. Den fünffachen Preis zu verlangen sei aber nicht mehr redlich. „Wir müssen um diese Preise kaufen“, sagt der Mitarbeiter.

Die Teuerung betrifft übrigens nicht nur Schutzmasken und Schutzanzüge, die aktuell tatsächlich Mangelware sind und unter erschwerten Bedingungen angeliefert werden müssen. Auch Latex-Handschuhe kosten plötzlich pro Packung 4,3 Euro statt 2,76 Euro.

Wie kann man sich dagegen wehren?

Welche Möglichkeiten gibt es, sich gegen solche Wucherpreise zu wehren? Rechtlich gibt es dafür einige Handhaben. Denn Geschäfte, bei denen jemand, wie es im Gesetz heißt, „den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen“ ausbeutet, sind grundsätzlich mit Nichtigkeit bedroht, wie Rechtsanwalt Benedikt Wallner im Gespräch mit der „Presse“ erklärt. Wobei sich, wie er betont, nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmen darauf berufen können.

Voraussetzung ist, dass zwischen Leistung und Gegenleistung ein „auffallendes Missverhältnis“ besteht. Ein Anhaltspunkt dafür könnten laut Wallner die Produktions-, Lagerungs- und Lieferkosten sein. „Stehen diese Kosten in keinem Verhältnis zum Verkaufspreis, könnte dies ein Anhaltspunkt für Wucher sein.“

Eine Zwangslage liegt vor, wenn man vor die Wahl gestellt ist, sich entweder auf das Geschäft einzulassen, also z. B. überteuerte Schutzausrüstung zu kaufen, „oder einen Nachteil zu erleiden, der nach vernünftigem Ermessen schwerer wiegt als der wirtschaftliche Verlust, den der Vertrag zur Folge hat“, erklärt Wallner.

Vielen Betroffenen bleibe derzeit keine andere Wahl, als überteuert zu kaufen, da es an leistbaren Alternativen mangelt. „Man kann derzeit durchaus vertretbar argumentieren, dass die potenziellen Käufer in einer Zwangslage sind, denn medizinisches Personal oder Personen in Jobs mit viel Menschenkontakt sind auf Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel nahezu angewiesen. Genau hier endet dann meines Erachtens die Vertragsfreiheit, und der Vertrag ist als rechtswidriges Wuchergeschäft nichtig“, sagt der Jurist.

Die Krux dabei liegt allerdings darin, dass das Geschäft dann grundsätzlich rückabgewickelt werden muss – und die Frage ist, ob man sich dazu durchringt, wenn man auf die Ware angewiesen ist und Alternativen fehlen. Der Vertrag ist auch nicht automatisch unwirksam; zur Rückabwicklung kommt es nur dann, wenn es der übervorteilte Geschäftspartner verlangt. Der „Bewucherte“ hat demnach faktisch eine Art Anfechtungsrecht  – das er nützen kann oder auch nicht. Dass man sich jenseits aller Paragrafen auch einvernehmlich auf eine Preisreduktion einigen kann, steht auf einem anderen Blatt.

„Sachwucher“ ist allerdings auch gerichtlich strafbar. Wurde dadurch eine größere Zahl von Menschen schwer geschädigt, droht eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu fünf Jahren. „Das könnte so manchen jetzt durchaus abschrecken“, sagt Wallner. Bis zu einem gewissen Grad können aus seiner Sicht jedoch auch Unternehmen Abhilfe schaffen: „Vorbeugend könnten die Onlineportale derlei absurde Verkaufsangebote löschen, wenn sie so was nicht unterstützen wollen. Und Supermärkte bzw. Apotheken könnten streng nach dem Prinzip ,Abgabe nur in Haushaltsmengen‘ vorgehen, sich also an ihre eigenen AGB halten.“ Würde weniger gehortet, wären die Lieferengpässe vielleicht nicht ganz so schlimm.

Zentrale Beschaffung

In Wien obliegt die Beschaffung und Verteilung von kritischen Gütern im Gesundheitsbereich der Stadt. „Wir haben uns bisher vor allem auf Spitäler und Rettungsdienste konzentriert“, sagt Andreas Huber, Sprecher des Krisenstabs der Stadt. Doch mittlerweile gebe es auch Anfragen aus dem Pflegebereich und von praktischen Ärzten. Durch die zentrale Beschaffung können auch günstigere Preise erzielt werden, berichten die Hilfsorganisationen. So werde verhindert, dass Anbieter Hilfseinrichtungen in die Höhe lizitieren.

So mancher im Gesundheitswesen und in der Ärzteschaft würde sich aber ein entschlosseneres Vorgehen der Regierung wünschen. In Frankreich etwa ließ Präsident Emmanuel Macron Atemschutzmasken beschlagnahmen, um sie dort zu verteilen, wo sie am notwendigsten sind.

Lexikon

Wucher. Laut ABGB und laut Wuchergesetz sind Verträge nichtig, wenn jemand „den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert zu dem Werte der Leistung in auffallendem Missverhältnis steht“. Verkauft jemand gewerbsmäßig Waren zu Wucherpreisen, droht außerdem laut StGB eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren – oder zwischen sechs Monaten und fünf Jahren, wenn „eine größere Zahl von Menschen schwer geschädigt“ wurde.

Quelle: Die Presse 25.3.2020