Benedikt Wallner über Demokratie, Machtbalance und Kontrollinstrumente

Die Polizei hat gegen zwei profilierte Menschenrechtsanwälte Ermittlungen wegen „Schlepperei“ und wegen „Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze“ eingeleitet. Beide Anwälte arbeiten neben der Betreuung ihrer Klienten auch im Menschenrechtsbeirat, der die Befugnis besitzt, die Polizei zu kontrollieren. Die Justiz warnt vor ihrem Kollaps, falls die Ausdünnung ihrer Planstellen (Stichwort: Sparmaßnahmen) und die Zunahme ihrer Arbeitsbelastung wei-tergehen. Was hat das alles mit Demokratie zu tun? 


Demokratie ist die Herrschaft des (Wahl-) Volkes, in Abgrenzung zB zur Herrschaft einer Adels- oder Priesterkaste. Wie jedes andere komplizierte System, sei es nun eine Maschine oder gar der menschliche Körper, bedarf auch sie der steten Wartung und Pflege: Wir wissen aus der Geschichte, dass Demokratien in autokratische Tyranneien kippen können, wenn die Demokraten nicht wachsam genug sind gegen die stets vorhandenen Verlockungen der regierenden Kaste, sich selbst noch mehr Macht und Einfluss zu sichern.

Weil eine Demokratie in ihrem Bestand stets gefährdet ist, muss es Kontrollinstrumente und Machtbalancen geben. Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit – das heißt ohne im Vorhinein festgelegte Regeln, wer was darf und wie man zu seinem Recht kommt – ist daher undenk-bar. Schon dafür brauchen wir eine funktionierende Justiz (und nicht nur dafür, dass Sie oder ich nach einem Autoschaden zu unserem Geld kommen). Vertreten werden diese Rechte von Profis: „Rechtsanwälte können notfalls auch gegen staatliche und sonstige mächtige Institu-tionen auftreten“, heißt es auf der Homepage des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (www.oerak.or.at), und wer es genauer wissen will, lese dort in § 8 RAO nach. Rechtsanwälten also vorzuwerfen, die Interessen von Rechtssuchenden zu vertreten, ist etwa so absurd wie der Vorwurf an die Chirurgenschaft, in fremden Körpern herumzuoperieren: Das ist eben ihr Job.

Absurder Vorwurf gegen zwei Rechtsanwälte, ergo Einstellung der Strafanzeigen durch die Staatsanwaltschaft: War es das? Keineswegs! Weil die freie Rechtsanwaltschaft zu den Garanten eines demokratisch verfassten Gemeinwesens gehört, ist ein absurder Vorwurf gegen sie immer auch ein Angriff auf dieses Gemeinwesen selbst. Wenn der Angriff just von derjenigen Einrichtung kommt, die von den Betroffenen in Ausübung ihres Berufes mehrfach kritisiert worden ist, muß man sich fragen, wozu er dienen sollte.

So ein Angriff ist nicht mehr harmlos nur „unsensibel“ zu nennen. Er hat Zusammenhang: Verfassungsgerichtshof-Erkenntnisse werden ignoriert, „was Recht ist, muß nicht gut sein“ hört man schon. Wenn es bei fehlenden Richterplanstellen wirklich um Einsparungen geht, warum hat man dann jüngst gegen die Wünsche der Richter ein sündteures Hochhaus in Wien angemietet? Wie viele Planstellen könnten um eine Monatsmiete von € 335.868,00 netto erhalten werden?

Dr. Benedikt Wallner ist Rechtsanwalt in Wien

Quelle: KURIER | 16.11.2004, Seite 7