Abgasskandal. Eine neue OGH-Entscheidung klärt wieder einen heiklen Streitpunkt: wer wofür die Beweislast trägt. Teils liest sie sich wie ein zivilrechtliches Lehrbuch – und zeigt, wie diffizil selbst scheinbar Grundlegendes werden kann.  

Bis zu den ersten Gerichtsurteilen im Dieselskandal hat es lang gedauert. Seit einigen Monaten geht es jedoch Schlag auf Schlag: Eine aktuelle OGH-Entscheidung klärt nun neuerlich Grundsätzliches – vor allem, wie sich die Beweislast zwischen Autokäufer und -verkäufer verteilt (1 Ob 149/22a).

Im Jahr acht seit Beginn der Dieselklagen sei damit ein weiteres Kapitel dieser „Geschichte der Unsicherheit in elementaren Rechtsfragen“ geschlossen worden, sagt Rechtsanwalt Benedikt Wallner, der im Anlassfall den Autokäufer vertritt, zur „Presse“. Scheinbar Grundlegendes aus dem Zivilrecht – wie Gewährleistung, Irrtum, Schadenersatz, bereicherungsrechtliche Rückabwicklung – fordert hier seit Jahren in ungeahntem Ausmaß die Gerichte.

Entschieden ist dieser Fall noch nicht, hier sind wieder die Unterinstanzen am Zug. Aber von Anfang an: Es geht – einmal mehr – um den Motor EA 189, „die Mutter aller Skandal-Motoren“, wie Wallner sagt. Der Kläger hatte Ende 2011 einen damit ausgestatteten Audi Q5 gekauft, Kostenpunkt: rund 46.400 Euro. Die Abgasreinigung funktionierte anfangs nur am Prüfstand, das wurde durch ein Software-Update bereinigt. Strittig sind jedoch die Folgen dieses Updates. Der Käufer verlangt daher gegen Rückgabe des Fahrzeugs den Kaufpreis abzüglich Benützungsentgelt zurück. Oder „in eventu“, quasi als Minimalvariante, die gerichtliche Feststellung, dass das Unternehmen für künftige, aus dem Kauf resultierende Schäden haftet.

Laut OGH konnte jedoch im bisherigen Verfahren nicht festgestellt werden, dass bzw. welche Veränderungen des Fahrzeugverhaltens mit dem Software-Update verbunden sind, „insbesondere auch nicht, dass sich dadurch Verbrauch, Leistung, Beschleunigungsverhalten, Gesamtlaufleistung oder die Haltbarkeit einzelner Komponenten (negativ) verändert hätten“. Auch ob die Abgasreinigung nur noch in einem bestimmten Temperaturbereich und unterhalb einer bestimmten Seehöhe voll funktioniert, sei nicht erwiesen worden. Der Händler habe dazu aber ein Zugeständnis gemacht: Er brachte im Verfahren erster Instanz vor, dieses „Thermofenster“ sei von den zuständigen Behörden als rechtskonforme und notwendige Maßnahme zum Bauteilschutz von Motoren freigegeben worden.

Behaupteter neuer Mangel

Wie verteilt sich nun also laut OGH die Beweislast? Durch die verbotene Abschalteinrichtung liege ein Mangel vor, „weil das Auto dann nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Kunde vernünftigerweise erwarten kann“, erklärt Wallner. „Wenn der Übergeber behauptet, der Mangel sei inzwischen durch das Software-Update beseitigt worden, muss er das auch beweisen. Und nicht der Übernehmer das Gegenteil.“

Aber: Sobald der Übernehmer behauptet, bei der Verbesserung sei neuerlich getrickst worden, weil zwar der ursprünglichen Mangel entfernt, dafür aber z. B. Verbrauch, Haltbarkeit etc. verschlechtert wurden, liegt die Beweislast dafür beim Übernehmer. „Denn das wäre ja nicht derselbe Mangel, sondern ein anderer, der erst durch die Verbesserungsmaßnahme verursacht wurde“, erläutert der Anwalt.

Und dass das Software-Update den Mangel in Wahrheit nicht beseitigt hat, weil wegen des „Thermofensters“ die Abgasreinigung nur bei bestimmten Außentemperaturen voll wirksam ist – wer muss das beweisen? „Niemand“, sagt Wallner. „Der Kläger hat es behauptet, die beklagte Händlerin hat es nicht bestritten. Sondern nur repliziert, es sei von den zuständigen Behörden so freigegeben worden, also rechtens. Eigentor.“ Wobei der OGH das sogar dann in seiner Entscheidung aufgreifen kann, wenn die Untergerichte es noch nicht so festgestellt haben: „Ein prozessuales Zugeständnis, das in erster Instanz erfolgt ist, kann auch noch in dritter Instanz verwertet werden.“

Dass es sich bei einem Thermofenster ebenfalls um eine Abschalteinrichtung handelt, hat der EuGH schon so entschieden (C-145/20). Und das ist verboten, außer es fällt unter eine der drei Ausnahmen in der betreffenden EU-Verordnung. „Was aber eng auszulegen ist“, erklärt Wallner.

In diesem Punkt ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wer das Vorliegen einer Ausnahme von einer allgemeinen Regel behauptet, hat die dafür maßgebenden Tatsachen aber auch zu beweisen. „Unklarheiten gehen insofern zulasten des Übergebers.“ Ein solcher Mangel wäre auch nicht als geringfügig anzusehen, auch das steht bereits fest (10 Ob 2/23a). Ein Anspruch auf „Wandlung“ (Rückabwicklung) ist also möglich. Dabei bekommt der Kläger gegen Rückgabe des Fahrzeuges den Kaufpreis zurück, abzüglich eines nach gefahrenen Kilometern berechneten Benutzungsentgelts.

„Wir sind in der Halbzeit“

„Wir sind damit wohl erst in der Halbzeit“, sagt Wallner. Die jüngste zu knackende Nuss seien nun die Thermofenster. Hoch werde die Industrie dieses Match aber nicht mehr gewinnen, zeigt er sich für den Kfz-Besitzer zuversichtlich.

In einer anderen aktuellen OGH-Entscheidung wurde einer Autokäuferin, die Händler und Hersteller geklagt hatte, übrigens inklusive Zinsen sogar mehr zugesprochen, als der Kaufpreis betragen hatte (6 Ob 150/22k). Händler und Hersteller hatten hier den Temperaturbereich, in dem die Abgasreinigung voll funktioniert, mit 15 bis 33 Grad angegeben. Die Abgasrückführung wäre dann in Österreich nur etwa für vier bis fünf Monate voll wirksam, damit sei auch das Thermofenster eine verbotene Abschalteinrichtung, entschied das Höchstgericht in diesem Fall. In dem Punkt argumentiert VW jedoch inzwischen anders: Die volle Funktion sei doch schon ab zehn Grad gegeben.

Lexikon

Gewährleistung. Diese ist in §§ 922 ff ABGB geregelt. Die Beweislast für das Vorliegen eines Mangels trägt demnach der Übernehmer der Sache/Leistung.

Der Übergeber muss beweisen, dass er den Mangel durch Verbesserung beseitigt hat. Die Beweislast für die Behauptung, die Verbesserung eines Mangels habe zu anderen Mängeln geführt, trifft dann wiederum den Übernehmer.

Die Presse, Christine Kary, Wien, 31.08.2023